Das Treffen sollte geheim bleiben. "Bitte teilt diese Information NICHT weiter", schreibt Querdenken-711-Gründer Michael Ballweg in der Einladung an ausgewählte Aktivisten. "Es ist sehr wichtig, dass ihr niemanden mitbringt, der keine persönliche Einladung bekommen hat." Und: "Bitte behandelt diese Einladung vertraulich, REDET NICHT in eurem Umfeld über dieses Treffen und über unsere neuen Ideen." Wen man treffen würde, stand nicht in der Mail. Es sei an der Zeit, "dass wir uns nach neuen Möglichkeiten und anderen Strategien umsehen", und man habe "einen Lichtblick gefunden". Dieser Lichtblick sollte anscheinend der vorbestrafte Reichsbürger Peter Fitzek sein. Ihn traf die Gruppe um Ballweg am vorvergangenen Sonntag in einem Restaurant im thüringischen Saalfeld. Das Treffen wurde bekannt, weil die Polizei einen Hinweis bekommen hatte, dass dort eine Veranstaltung stattfinde und die Corona-Auflagen missachtet würden. Die Beamten rückten aus, notierten Personalien von etwa 80 Teilnehmern und lösten die Veranstaltung auf. Dann kam heraus, wer in dem Restaurant konferierte, welches seit Jahren vom Thüringer Verfassungsschutz beobachtet wird.

Die Behörde hat auch Peter Fitzek schon lange auf dem Schirm und rechnet ihn der Reichsbürgerszene zu. Fitzek, ein ehemaliger Koch, bestreitet, etwas mit Reichsbürgern zu tun zu haben. Aber auf dem Gelände einer früheren Klinik in Wittenberg rief er 2012 einen eigenen Staat aus, das "Königreich Deutschland". Seitdem lässt er sich von Anhängern "Seine Königliche Hoheit Peter I." nennen. Auf seiner Website ist zu lesen, er wolle das Deutsche Reich "wieder handlungsfähig machen" und in den Grenzen von 1937 "wiederherstellen". Die Bundesrepublik sei hingegen gar kein Staat, sondern "nur ein Verwaltungskonstrukt einer Firma", ein "Gebietsverwalter", und die Demokratie sei "wider der Natur, also unnatürlich", sie könne deshalb "keinen dauerhaften Bestand haben".

Fitzek gab eigene Währungen aus, gründete die "königliche Reichsbank" und eine Krankenversicherung und legte sich immer wieder mit der Justiz an. Wegen nicht genehmigter Krankenversicherungsgeschäfte und mehrmaligen Fahrens ohne Führerschein wurde er im August 2017 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Was wollten die führenden Köpfe der "Querdenken"-Gruppe von diesem Mann? Michael Ballweg ist in Erklärungsnot. Öffentlich beteuert der IT-Unternehmer, dass sich sein Bündnis von Extremisten distanziere. Wenn Rechte oder Reichsbürger auf Demos mitliefen, könne man dagegen nichts unternehmen. Das konspirative Treffen mit Fitzek offenbart nun eine andere Seite der Bewegung.

Ballweg versuchte, mit einer Erklärung die Wogen zu glätten. "Die Ideologie der Reichsbürger deckt sich nicht mit den Motiven der Querdenken-Initiative und hat damit nichts zu tun", heißt es darin. Fitzek werde "fälschlicherweise der Reichsbürgerszene zugerechnet. Tatsächlich ist er jemand, der auf dem Boden des Grundgesetzes nach Gesetzeslücken sucht, die eine weitgehende Autonomie von staatlichen Strukturen - wie zum Beispiel dem Finanz- und Gesundheitssystem - ermöglicht". Es habe sich um ein "Arbeitstreffen" mit ihm gehandelt, es sei unter anderem um "Demonstrationsformate", ein "unabhängiges Geld- und Finanzsystem" sowie Gesundheitsvorsorge gegangen.

"Es hat sich irgendwie diktatorisch angefühlt"

Das überzeugte offenbar nicht einmal den Pressesprecher des Bündnisses. Stephan Bergmann hat "Querdenken" inzwischen verlassen. In einem Video auf Youtube wandte er sich am Sonntag an seine Anhänger und sprach von einem "Schockzustand". "Leider hat der Michael eingeladen, ohne dass die Leute es wussten, ein Großteil zumindest, wo es hingeht, zu dem als Reichsbürger bezeichneten König von Deutschland, und damit ist ein medialer Supergau entstanden, der auch absehbar war." Ballweg habe die Eingeladenen "dieser Situation ausgeliefert", das sei eine "ziemlich schlimme Sache von Verrat, das fühlt sich an, wie wenn man verarscht worden wäre, ins offene Messer gelaufen".

In dem 36-minütigen Video rechnet Bergmann auch mit Ballwegs Führungsstil ab: Querdenken 711 sei "als pyramidisches System aufgebaut", dabei wollten sie ja gerade gegen so ein hierarchisches System kämpfen. Doch sei "überwiegend immer alles, ja, über den Michael gelaufen", und "ohne dass der Michael irgendwas freigegeben hat, ist da gar nix gelaufen, also es hat sich irgendwie diktatorisch für mich angefühlt".

Bergmann ist selbst eine schillernde Figur. Die Staatsanwaltschaft Heilbronn bestätigte der F.A.Z., dass gegen ihn ermittelt wird, weil er auf einer Demonstration in Heilbronn am 19. Juli zu Straftaten aufgerufen haben soll. Nach Recherchen der Zeitung "Tagesspiegel" teilte er vor Jahren auf seiner privaten Facebook-Seite rassistische Posts, in denen etwa vor einer "Vermischung der Rassen" gewarnt wird. Bergmann bestreitet das, die Zeitung legte Screenshots vor. Auch machte Bergmann Aussagen, die der Reichsbürgerbewegung zuzuordnen sind, das Grundgesetz nannte er "Besatzungsrecht". Die "Waiblinger Kreiszeitung" berichtete, dass Bergmann 2016 an der Gründung des Vereins "Primus Inter Pares" beteiligt war, der vom Verfassungsschutz dem Reichsbürgermilieu zugeordnet wird. Dokumentiert ist auch Bergmanns offensichtliche Nähe zum "Volkslehrer" Nikolai Nerling. Ein Twitter-Video zeigt, wie er den rechtsextremen Videoblogger am Rande einer Demonstration in Stuttgart umarmt.

Verfassungsschutz: Extremisten unter den Organisatoren

Auch Ballweg griff immer wieder Reichsbürgernarrative auf, etwa die Aussage, Deutschland habe nie einen Friedensvertrag unterzeichnet. So animierte er auf einer Demo in Stuttgart Anfang August seine Zuhörer, "zu diesem Thema zu recherchieren". Sein Verhältnis zum Grundgesetz ist unklar: Einerseits preist er es als "das Beste, was uns bisher passiert ist", und beruft sich auf die darin verbrieften Freiheitsrechte. Andererseits weckt er Zweifel an dessen Legitimität, indem er zu einer "verfassunggebenden Versammlung" aufruft mit dem Ziel, eine Verfassung auszuarbeiten. In einem ARD-Interview sagte Ballweg auf die Frage, ob das Grundgesetz für ihn Verfassungsrang habe: "Gut, da kann man sich jetzt natürlich drüber streiten." Die Bundesregierung hält er für gefährlicher als Rechtsextremisten. Und auf der Berliner Demonstration Anfang August zitierte er auf der Bühne den Slogan der antisemitischen Verschwörungsbewegung "QAnon": "Where We Go One, We Go All." Deren Anhänger glauben, dass geheime Eliten, Satanisten und Juden einen Kindermissbrauchsring bilden. Der ARD sagte Ballweg später, er habe "QAnon" und die damit verbundenen Ideologien bloß "oberflächlich" gekannt.

Die Tuchfühlung der Querdenker mit dem "König von Deutschland" hat auch den Wirtschaftsprofessor Christian Kreiß von der Hochschule Aalen verärgert, der auf einigen Kundgebungen als Redner aufgetreten war. Er sei "auf Querdenken hereingefallen", schrieb er auf der Website "Telepolis". Was Ballweg treibe, sei "ganz übler Betrug an der Sache". Ihm sei immer wieder versichert worden, man habe mit Reichsbürgern nichts zu tun, "aber offenbar liefen im Hintergrund andere Bestrebungen". Er habe sich "über die guten Absichten von Querdenken getäuscht".

Der baden-württembergische Verfassungsschutz beobachtet die "Querdenker" zwar weiterhin nicht, aber anders als im Frühjahr kommt das Amt nun zur Einschätzung, dass "unter den Organisatoren der Querdenken-Veranstaltungen wie auch im näheren Umfeld der Initiative" derzeit "Extremisten" tätig seien. Anfänglich hatten die Verfassungsschützer nur Unterwanderungsversuche der neuen Bewegung durch bekannte Rechtsextremisten beobachtet. Anhänger von "QAnon" sowie Mitglieder der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative", der NPD sowie der Partei "Die Rechte" würden regelmäßig an Veranstaltungen der Querdenker in Baden-Württemberg teilnehmen.*

Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte am Mittwoch im Innenausschuss: "Insgesamt diffamiert 'Querdenken' den deutschen Rechtsstaat als totalitäres System oder als eine mit dem nationalsozialistischen Regime gleichzusetzende Diktatur. Es ist auch erschreckend, abstoßend und widerwärtig, wenn Kinder instrumentalisiert werden, wie bei einer 'Querdenken'-Kundgebung am 14. November 2020 in Karlsruhe, wo eine Elfjährige auf der Bühne ihre Situation während der Corona-Pandemie mit der Lage von Anne Frank verglich."

*Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hatte es geheißen, die "Junge Alternative" sei aufgelöst worden. Wir stellen hiermit klar, dass sich das nicht auf den Landesverband Baden-Württemberg bezog. FAZ.NET
FAZ.NET, 25.11.2020