Kurz bräteln, klug würzen
Kochen hat Vivek Kumarkrushnun von seiner Mutter gelernt. Beim siebten Mal fand der Junge die richtige Mischung aus Salz und Chili, und sein Curry gelang. Längst kocht der Inder in einem Lokal in Zürich. Extrem köstlich, aber scharf, so ist die raffiniert gewürzte Küche seiner Heimat.
Beim Betreten des Restaurants ist die tamilische Musik nicht zu überhören. Der Geruch von Curry erfüllt die Küche. Das erhitzte Öl zischt in der schwarzen Pfanne. Vivek Kumarkrushnun arbeitet als Koch im Kerala Indian Restaurant in Zürich. Seit 20 Jahren lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in der Schweiz. Nach seiner Ausbildung in Indien ging er in die Schweiz. Mit einer Arbeitsbewilligung kochte er zunächst im Maharani Restaurant in Zürich. Nach zwei Jahren brauchte er einen Tapetenwechsel und entschied sich, in verschiedenen Schweizer Restaurants zu arbeiten. Mit der Zeit merkte er, dass ihm die Verbindung zu seinem Heimatland fehlte. Daher kehrte er zur indischen Küche zurück. Seither sind sechs Jahre vergangen.
Auf dem Tresen stehen goldene Elefantenskulpturen. Die handgefertigten rot-weißen Gardinen mit Blumenmuster verleihen dem Restaurant einen indischen Touch. An jeder freien Wand hängen Bilder von Hindugöttern. Eines davon ist der elefantenköpfige Gott Ganesha. "Wir sind sehr gläubige Hindus", sagt der Koch. Der Duft von frisch gebackenen Samosas, mit Gemüse gefüllte, dreieckige Teigtaschen, steigt in die Nase.
Ursprünglich kommt der 40-jährige Vivek Kumarkrushnun aus Chennai, einer Großstadt in Südindien. Schon als Kind half er seiner Mutter beim Kochen. Über die Jahre hinweg lernte er von ihr immer mehr köstliche Gerichte zuzubereiten. Eine seiner ersten Speisen war Parotta, ein ungesäuertes Fladenbrot aus Südindien. Später brachte ihm seine Mutter verschiedene Curry-Saucen bei. Sambar war die erste grüngelbliche Gemüse-Sauce, die er zubereitet hatte. Anfangs fiel es ihm schwer, das richtige Verhältnis von Salz und Chili zu finden. Nach dem siebten Mal schmeckte der Sambar fast so gut wie jener seiner Mutter.
Die indische Küche bietet eine große Vielfalt an Gewürzen. Die häufigsten verwendeten Aromen sind: Kurkuma, Chili, Kreuzkrümmel, Koriander und Curryblätter. Generell gelten Würzstoffe im Ayurveda als heilsam. Der Mann holt aus einem überfülltem Regal Pfeffer und Koriander heraus. In einem Mörser werden die ganzen Körner fein zerstoßen. Die Samen der kleeblattförmigen Korianderpflanze wirken antibakteriell und verdauungsfördernd. Kumarkrushnuns braune Augen suchen verwirrt nach einem silbernen Meßlöffel. Vorsichtig rüttelt er die Verpackung mit dem rotem Inhalt. "Nicht zu viel, wir wollen nicht, dass unsere Kunden in Ohnmacht fallen", scherzt er mit einem breiten Grinsen. Sein kurzes, schwarzes Haar ist unter einer überdimensionalen Kochmütze versteckt. Chilis, die scharfen Schoten, gibt es in etlichen Formen, Farben und Schärfegraden. Laut einer Studie wirkt sich der Stoff positiv auf den menschlichen Kreislauf und den Stoffwechsel aus.
Hingegen solle Kreuzkrümmel Verdauungsstörungen wie Blähungen, Krämpfe oder Verstopfungen lindern. Die enthaltenen ätherischen Öle regen die Verdauungssäfte an und wirken dabei entkrampfend. Kreuzkrümel ist eine wichtige Komponente vieler indischer Gewürzmischungen und wird vor der Anwendung im Mörser zerstoßen. Aus einem großen Einmachglas holt Vivek mit dem Meßlöffel ein gelbes Puder heraus. Kurkuma wird auch als "gelber Ingwer" bezeichnet. Um es in Pulverform herzustellen, muss man die Wurzeln zunächst schälen, im Ofen erhitzen und am Schluss im Mixer zerkleinern. "Um Zeit zu sparen, stellen wir es in großen Mengen einige Tage im Voraus her", berichtet der gut 1,80 Meter große Mann. In einer Metallschüssel vermischt er alle Gewürze. Die Gelbwurz hat eine energiespendende Eigenschaft und ist gut geeignet gegen Entzündungen und Schmerzen. Nicht nur in der Küche spielt sie eine zentrale Rolle, Kurkuma kommt auch in hausgemachten Gesichtsmasken vor. Es reinigt die Haut und hilft gegen Akne. Viele Inder sind fest davon überzeugt, dass sie zusätzlich eine hautaufhellende Funktion hat.
Die entstandene Paste lässt der Koch eine Zeitlang stehen. Allerdings sollte man sie nach der Herstellung innerhalb von wenigen Tagen aufbrauchen, andernfalls verlieren die Wirkstoffe an Aroma. Dies lernte er von einem engen Familienfreund. Als er Anfang 20 war, half Vivek Kumarkrushnun öfter bei dessen Take-Away-Shop aus, wo er neue Tipps und Tricks lernte. Das Kochen wurde immer mehr zu einem Hobby.
Dann holt er den knusprig gebratenen Fisch aus der Pfanne und verteilt eine Gewürzmischung auf ihm. "Es gibt kein Richtig oder Falsch beim Kombinieren der Aromen." Wichtig sei es, Erfahrungen zu sammeln. Erst durch Fehler fange man an zu lernen. Im Laufe der Zeit entwickle man ein Gefühl dafür, was zusammenpasst und was nicht. "Probieren geht über Studieren", lautet sein Motto.
Das Einzige, was problematisch wirken kann, ist die Menge der Gewürze. Bei indischen Gerichten kann es schnell zu scharf werden. Daher ist es bedeutsam, mit einigen Gewürzen sparsam umzugehen, vor allem mit Chili. Bei hohen Dosierungen senden die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge einen Alarm aus. Der Körper nimmt das als Schmerz wahr und produziert Flüssigkeiten in Form von Spucke und Schweiß. Indische Aromen haben einen intensiven Geschmack, beim Anbraten wird dieser deutlich verstärkt. "Aus diesem Grund empfehle ich allen, sich zuerst lieber zurückzuhalten und später nachzuwürzen." Während er den Cherray Fisch mit Bananenblättern umwickelt, sagt er: "Jede Familie hat ein eigenes Rezept." Er wischt sich die Hand an seiner mit Curry beschmutzen Schürze ab. Anschließend brätelt er den Fisch für knappe fünf Minuten auf dem Herd. Mit ölbefleckten Fingern zeigt er auf die fertige Speise: "Dieses Cherray-Fisch-Gericht wird nur auf eine Weise zubereitet, aber trotzdem wird es beim Nachbarn völlig anders schmecken."
Priya Palapurackal, Kantonsschule Zürcher Oberland, Wetzikon
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.01.2020, Nr. 16, S. 26