Aus dem babyblauen Fiat 500, einem Modell aus dem Jahr 2007, steigt eine schlanke Frau mit langen, braunen Haaren, Jeans und Diadora-Turnschuhen. Birgit Klötzli wohnt im Zwölftausend-Einwohner-Dorf Pfäffikon im Zürcher Oberland. Hier ist sie aufgewachsen und hat eine Ausbildung zur Lehrerin für textiles und nichttextiles Gestalten absolviert. In diesem Beruf arbeitet sie heute noch im Schulhaus Rikon. An den Wänden ihrer Neubauwohnung hängen Plakate, Bilder und Fotos. Im Esszimmer steht ein alter, prächtiger Tisch. "In diesem Zimmer war vor zwei Jahren noch mein Atelier, bis es zu klein wurde und ich ein richtiges Atelier mietete", erklärt die 46-Jährige mit ihrer angenehm klaren Stimme. Birgit oder Bigi, wie sie lieber genannt wird, mag Leute, die ihre Meinung zu sagen wissen, und beschreibt sich als eher laute Persönlichkeit. Sie besucht gerne Fußballspiele oder stillt ihren Wissensdurst nach Kunstgeschichte. "Ich sollte mich auch mal wieder ans Schlagzeug setzen", witzelt sie.

Vor zehn Jahre haben Klötzlis Schwester und deren Partner ihr einen Gießkurs geschenkt. Rückblickend sei es eines der wichtigsten Geschenke ihres Lebens gewesen. Ihre erste Arbeit war ein Chamäleon. Als sie dieses Silberding in den Händen hielt, war es um sie geschehen. Sie konnte gar nicht mehr aufhören mit dem Gießen und hatte irgendwann so viele Stücke gefertigt, dass ein Verkauf nur logisch war. Wie sollte ihr Schmucklabel heißen? Als Kind wurde sie von ihrem Vater liebevoll Bixli genannt. Bix ist das erwachsene Mädchen, das den Mut und Elan hatte, ihren Träumen zu folgen und sie in die Tat umzusetzen. Ihren silbernen Tierwesen gab sie den Namen Bixis. Jedes dieser Bixis hat seinen eigenen Namen und erzählt seine persönliche Geschichte. An freien Abenden setzt sie sich bei einem Glas Rotwein auf ihre Couch und lässt sich witzige, kreative Geschichten und Namen einfallen für ihre schon fertigen Schmuckstücke. Sei es für den Anhänger, den Armreif, den Finger- oder Ohrring. Inspiration schöpft sie aus ihrem Leben. Ihr Alltag und ihre Beobachtungsgabe verhelfen ihr zu den Geschichten. "Wie oft musste ich schon grinsen, weil mir bewusst wurde, dass ich mich selbst beschrieben habe, eine Sehnsucht von mir auf Papier gelandet ist oder ein Freund oder eine Freundin gerade verewigt wurde." Das Aussehen ihrer Bixis reflektiert ihre Liebe für Tiere mit sonderbaren Körpermerkmalen: eine lange Schnauze, große Ohren und sonstige ungewöhnliche Proportionen. Besonders angetan hat es ihr das Chamäleon, ein Reptil, das Kämpfe um das Weibchen mit einem Farbspiel austrägt. Der Verlierer wird braun und unscheinbar. "Was für eine schöne Welt", sagt sie tief in Gedanken, während sie mit ihren Armreifen klimpert.

Besonders fasziniert am Gießen hat Klötzli der archaische Charme des Handwerks. Im Vergleich zur Kupferzeit hat sich fast nichts verändert. Selbstverständlich gab es damals noch nicht alle Werkzeuge, Geräte oder Materialien, die es heute gibt, aber das Prinzip war dasselbe, nur eben etwas aufwendiger. Klötzli hat schon Techniken aus der Bronzezeit praktiziert. Dabei verwendete sie Materialien wie Pferdemist und Schamotte, die sie im Feuer ausbrannte. "Diese Erfahrungen waren wunderbar." Für die Produktion ihrer Schmuckstücke ist dieses Verfahren leider nicht ganz passend. Auch bei den Materialien wagt sie gerne Neues. Alles Organische kann für den Guss genutzt werden. Zwischen der Idee und dem Endprodukt vergehen etwa vier Stunden. Jeder Arbeitsschritt ist Handarbeit. Für das Fotografieren der fertigen Stücke und deren Beschreibung braucht Klötzli eine weitere Stunde. Den Anfang macht das Modell des Schmuckstücks aus Wachs. Danach werden die Gusskanäle und der Gusstrichter in Wachs angebracht. Dieses Konstrukt wird in eine gipsartige Masse eingebettet. Dann wird die Form gebrannt: Das Wachs fließt dabei heraus. Die Hohlform für das Silber bleibt übrig. Die Stücke entstehen im Schleudergussverfahren. Die Gussform wird in eine mit Federn gespannte Trommel gespannt. Das Silber wird aufgeheizt; sobald es flüssig ist, werden die Federn entspannt, so dass sich die Trommel dreht und das Silber mit Zentrifugalkraft in die Form geschleudert wird.

Nach dem Erkalten wird der Guss aus der Gipsmasse befreit, die Kanäle werden abgesägt, das Schmuckstück wird überarbeitet. Die passende Geschichte und der passende Name, eine frei wählbare Kette, und voilà, ein kleines Kunstwerk ist geboren. Ihre Materialien wie das 925er Silber, Steine und Lederbänder bezieht sie alle aus der Schweiz. Als Nebenberuf wäre der Schmuckhandel für Klötzli nicht rentabel, da die Ausgaben bei weitem die Einnahmen übersteigen. Die Preise sind zu tief, obwohl ihre Kunden das oft anders sehen. Auf Märkten oder Ausstellungen verkauft sie wenig, deshalb lässt sie es bleiben.

Kleine Geschäfte verlangen auch mal vierzig Prozent des Gewinns. Am liebsten fertigt sie ihre Stücke für sich an, ohne unter Druck zu stehen. Ihr Etsy-Shop ist deshalb erst mal im Ferienmodus. "Auch meine Bix-Website müsste ich dringend mal wieder aktualisieren", gibt sie zu. Bei Online-Verkäufen fehlt ihr der persönliche Bezug. Ihre Hauptklientel online bilden dabei Tierverrückte, die gerne ihr Haustier als Schmuckstück haben wollen, das widerspricht zwar der Philosophie von Bix, die besagt, dass man sich in das Gesamtpaket verlieben soll. Trotzdem erfüllt sie diese Wünsche. "Meine Kurse finden ja täglich im Klassenzimmer statt", scherzt sie. Mit der Schmuckherstellung hat sie neue Fertigkeiten wie Löten, Steine fassen, die Anwendung verschiedener Gussverfahren, das Gestalten und Verwalten einer Website und vieles mehr erlernt.

Lilith Cescon, Kantonsschule Zürcher Oberland, Wetzikon
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.03.2020, Nr. 76, S. 26